Leben in Gruppen braucht immer einen sozialen Konsens, in dem das Zusammenleben im Rudel oder Clan geregelt ist. Dieser Konsens beruht im klassischen Rudel auf der Macht des Rudelchefs, der sich oft durch körperliche Kraft, manchmal auch durch Klugheit oder Taktik gegen die Konkurrenten durchsetzen musste. Alle anderen haben nach seiner Pfeife zu tanzen, d. h. sich unterzuordnen. Diese Rudelstruktur kann man heute noch u. a. bei zahlreichen Affenarten beobachten. Sehr wahrscheinlich war das Rudel also auch die Sozialstruktur bei den ersten Vormenschen.
Der Silberrücken ist ein mächtiger Rudel-Chef — keine Chance für die anderen Männchen
Die Dominanz des Rudelchefs erstreckt sich oft auch auf das Recht der Fortpflanzung, das der Chef für sich allein beansprucht. Das bedeutet, dass rangniedere Männchen keine Chance haben, sich fortzupflanzen, es sei denn, sie tun es heimlich in einem Versteck — was etwa in Schimpansen-Rudeln schon mal vorkommt.
Allerdings sind auch aus dem Tierreich Rudel mit dominanten Weibchen bekannt, d. h. die Entwicklung zu matriarchalischen Strukturen — mit zahlreichen, sehr verschiedenartigen sozialen Ordnungen — hat durchaus Vorläufer und Vorbilder im Tierreich.
Tamarin-Rudel werden von einem Weibchen dominiert. Aber alle Männchen bei den Goldmantel-Tamarinen übernehmen die Betreuung des Nachwuchses.
Bei den Tamarinen pflanzt sich innerhalb eines Clans nur das dominante Weibchen fort — bei den anderen Weibchen wird sogar der Eisprung unterdrückt. Das dominante Weibchen paart sich innerhalb kürzester Zeit mit allen Männchen der Gruppe, so dass alle Männchen Vater werden können. Das hat zur Folge, dass sich alle Männchen intensiv um die Kinder kümmern — sie versuchen dabei sogar, sich gegenseitig an Fürsorglichkeit zu übertreffen.
In der Geschichte der Menschen sind matriarchalische Gesellschaften durch die Erkenntnis gestärkt worden, dass die Frauen durch die Geburten den entscheidenden Beitrag für den Fortbestand der Gruppe leisten und daher besondere Wertschätzung verdienen. Eine der bekanntesten Kulturen mit starken matriarchalischen Prägungen waren die Minoer auf Kreta.
Die Verbreitung matriarchalischer Strukturen ging erst dann stark zurück, nachdem vor ca. 10.000 Jahren sich aus Indien die Erkenntnis verbreitete, dass ohne das männliche Sperma die weibliche Fruchtbarkeit gar nichts nützt. In Folge ergab sich vielerorts ein Wechsel zu patriarchalischen Strukturen.
Wirkung von Kleidung
Unsere Vorfahren haben irgendwann in der Geschichte die Kleidung erfunden. Wie lange das genau her ist, wissen wir nicht. Aber es sprechen einige Hinweise dafür, dass diese Entwicklung vor 100.000 bis 300.000 Jahren begann. Sicher ist aber, dass sich diese Erfindung nur sehr langsam verbreitete.
Es spricht vieles dafür, dass die Kleidung ursprünglich aus Schmuck entstanden ist. Beides waren Luxusgüter, die nur besonderen Menschen zustanden, die in der gesellschaftlichen Hierarchie weit oben standen. Und da Kleidung so ein Statussymbol war, strebten nach und nach alle danach, Kleidung tragen zu können, und wer sich keine leisten konnte, gehörte zur Mehrheit der „einfachen Leute“.
Geschmückt und bemalt — Kulte, Feste und Feiern waren der erste Anlass, sich zu schmücken.
Die Möglichkeit der Bedeckung wurde später genutzt, um primär solche Körperstellen zu bedecken, die mit sehr persönlichen Körperfunktionen verbunden waren, also etwa der Ausscheidung oder der Sexualität. Hieraus entwickelte sich auch eine Körperteil-Scham und die gesellschaftliche Norm, diese Körperteile bedeckt zu halten.
Diese Entwicklung war aber nicht zwangsläufig. Es gibt aus dem Zeitalter der Kolonialisierung von Amerika, Asien, Afrika, Australien und Ozeanien viele Dokumentationen über Gesellschaften, die ganz ohne Kleidung lebten. Viele der letzten unkontaktierten Populationen etwa in Amazonien gehören bis heute dazu, wie wir von ihren inzwischen kontaktierten Nachbar-Populationen wissen.
Solange alle oder die große Mehrheit in einer Gesellschaft nackt sind, also Nacktheit selbstverständlich ist, ist offensichtlich Nacktheit voll akzeptiert. Wir wissen allerdings, dass in nackt lebenden Populationen sehr strenge Tabus galten bzgl. aufdringlicher Blicke oder gar Berührungen. Wer gegen ein solches Tabu verstieß, musste u. U. mit einem Todesurteil oder lebenslanger Verbannung aus der Gemeinschaft rechnen — was einem Todesurteil oft gleich kam, da ein einzeln lebender Ausgestoßener kaum eine Überlebenschance hatte.
Mit der stärkeren Verbreitung der Kleidung landeten aufdringliche Blicke nicht länger auf der nackten Haut, und die Berührung des Arms einer Frau traf nur „den Ärmel“. Auf diese Weise verloren auch die lange gepflegten Tabus mit der Zeit ihre Strenge: Leichte Formen der Aufdringlichkeit wurden eher toleriert.
Damit aber sank mit der Zeit die Hemmschwelle für aufdringliche Blicke oder Handlungen, und folglich stiegen die Toleranzschwelle wie auch die Häufigkeit kleinerer Tabuverletzungen — d. h. die Gesellschaft wurde insgesamt weniger diszipliniert. Mit anderen Worten: Mit der Verbereitung der Kleidung stieg die Zahl und langsam auch die Schwere solcher Handlungen, die ursprünglich als unverzeihliche Vergehen eingestuft waren. Anders gesagt: Die Kleidung förderte die Kriminalität.
Übrigens auch dadurch, dass Kleidung das Privileg der Oberschicht war — das förderte natürlich Neid und damit kriminelle Delikte wie Diebstahl oder Raub.
Entfremdung — Vereinsamung
Gleichzeitig wurden die Menschen durch das vermehrte und irgendwann ständige Tragen von Kleidung von der Nacktheit entwöhnt, die (etwa aus biblischer Zeit überlieferte) Korrelation von Nacktheit und Armut entwickelte sich im Laufe der Zeit zur Missbilligung von Nacktheit bis hin zur Prüderie.
Es gilt also, dass die frühen, nackt lebenden Menschen in ihrer sozialen Gemeinschaft zum einen weniger kriminell waren, weil ihnen die Rücksicht auf den anderen Menschen sehr viel näher lag als uns, die wir durch Kleidung „abgeblockt“ sind, sie zum anderen aber uns heutigen Menschen im Sozialverhalten und auch geistig überlegen waren, weil sie den nackten Körper als natürliche, selbstverständliche Gegebenheit zu aktzeptieren verstanden und sie ihren Umgang miteinander mit weitaus mehr Verständnis und Toleranz zu gestalten wussten.
Das Aufkommen und die zunehmende Verbreitung der Kleidung hat diese edlen Aspekte der menschlichen Sozialgemeinschaft reduziert und zunehmend zerstört. Auch die weitere Entwicklung durch wachsende Bevölkerung, Verstädterung und damit verbundener Anonymisierung bis hin zur Vereinsamung haben die ehemals enge soziale Bindung und Intimität der persönlichen Beziehungen zwischen den Menschen in ihren ursprünglichen, kleinen Gemeinschaften zunehmend erodieren lassen und den Weg zu unserer heutigen, kaum noch durch soziale Bindungen geprägten Welt bereitet. Der Versuch, über sog. „soziale Netzwerke“ diesen Verlust auszugleichen, ist zum Scheitern verurteilt, weil diese Netzwerke allesamt zutiefst asozial sind und der Mangel an sozialen Bindungen durch Verleitung zu Negativkommentaren, Schimpf- und Hassbotschaften noch verschärft wird.
Symbol unserer Zeit: Auch am Ende des Tunnels wartet Einsamkeit
Wie schön, dass es den Naturismus gibt, mit dem wir uns zumindest zeitweise in den Naturismus-Oasen in das kleiderlose Paradies der guten, alten Zeit gemeinsamen Lebens in Natürlichkeit und Respekt zurückversetzen können!
Naturisten mitten im Wildpferde-Paradies im Merfelder Bruch (WNT 2023)