Nackt leben — was ist erlaubt? Das Recht wird in jedem Land nach eigenen Traditionen und Grundregeln festgelegt. Was hier auf dieser Seite steht, gilt für Deutschland.
Relevante Rechtsgebiete sind
- das Ordnungsrecht,
- das Strafrecht und
- das Eigentumsrecht.
Fangen wir mit dem Einfachsten an: Das Eigentumsrecht sieht vor, dass der Eigentümer (z. B. eines Grundstücks oder eines Bauwerks) darüber bestimmen kann, wie sein Eigentum zu nutzen ist. Wenn also der Eigentümer es erlaubt, dass seine Gäste nackt tanzen, speisen oder feiern, dann dürfen die das.
Übersichtlich ist auch das Strafrecht. Es verbietet Handlungen, die sexuelle Aktivitäten beinhalten. Das erfolgt in zwei Paragrafen des Strafgesetzbuchs (StGB):
§ 183 Exhibitionistische Handlungen
(1) Ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.
(3) Das Gericht kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe auch dann zur Bewährung aussetzen, wenn zu erwarten ist, dass der Täter erst nach einer längeren Heilbehandlung keine exhibitionistischen Handlungen mehr vornehmen wird.
(4) Absatz 3 gilt auch, wenn ein Mann oder eine Frau wegen einer exhibitionistischen Handlung
1. nach einer anderen Vorschrift, die im Höchstmaß Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht, oder
2. nach § 174 Absatz 3 Nummer 1 oder § 176 Abs. 4 Nr. 1
bestraft wird.
Erläuterung: Eine exhibitionistische Handlung erfordert das Entblößen des Penis vor einer anderen Person. Quelle: ⤷ RA Steffen Dietrich
Der Tatbestand des Exhibitionismus ist nur dann erfüllt, wenn die Entblößung der sexuellen Befriedigung (z.B. der Luststeigerung) dient. [BayOLG 2 St RR 86/98, NJW 1999, 72)]
§ 183a Erregung öffentlichen Ärgernisses
Wer öffentlich sexuelle Handlungen vornimmt und dadurch absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 183 mit Strafe bedroht ist.
Erläuterung: Der Begriff des öffentlichen Ärgernisses ist ausdrücklich an eine sexuelle Handlung gebunden, nicht an bloße Nacktheit.
Das Ordnungsrecht enthält den § 118 OWiG (Ordnungswidrigkeiten-Gesetz)
Ordnungswidrig handelt, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen.
Der Paragraf benennt also drei Voraussetzungen, die alle erfüllt sein müssen, damit eine Ordnungswidrigkeit vorliegt:
- die Handlung muss grob ungehörig sein,
- die Allgemeinheit muss belästigt oder gefährdet werden,
- die öffentliche Ordnung muss beeinträchtigt werden.
Das alles ist wenig präzise und erlaubt viele Vermutungen und Interpretationen. Daher ist es das Beste, sich an der Rechtspraxis zu orientieren.
Beispiel 1: Anmeldung von Nacktwanderungen bei der Polizei.
Ich habe über mehrere Jahre hinweg meine Nacktwanderungen vorab bei einem lokalen Polizeirevier angekündigt. Einmal gab es eine telefonische Rückfrage, weil die Polizisten mehr Einzelheiten erfahren wollten, ein anderes Mal trafen wir Polizisten des Reviers bei einer Geschwindigkeits-Kontrolle, und kamen vor Ort mit ihnen ins Gespräch. „Ach, Sie waren das, der uns das FAX geschickt hat! Es haben auch schon ein paar Leute bei der Polizei angerufen.“ Probleme wegen des nackten Wanderns gab es nicht.
Beispiel 2: Andere Menschen hatten die Polizei angerufen.
Die Polizei stellte uns auf zahlreichen Nacktwanderungen aufgrund von Anrufen besorgter Menschen zur Rede und fragte nach unserer Motivation. Nachdem wir unsere Verbundenheit zur Natur betont haben, wünschten wir uns gegenseitig noch einen schönen Tag.
Beispiel 3: Zeitungs-Interview des Münsteraner Polizeisprechers.
Die ⤷ „Westfälischen Nachrichten“ druckten in einem Artikel die Aussagen des Polizeisprechers von Münster und des Ordnungsamtsleiters von Senden ab: „Nacktwandern ist keine Belästigung und wird nicht verfolgt.“
Beispiel 4: Der Nacktwanderer
Der Nacktwanderer Axel macht seit vielen Jahren regelmäßig Nacktwanderungen und ‑spaziergänge in der Umgebung seines Wohnsitzes, und mehrfach alarmierten besorgte Menschen deswegen die Polizei. Die eröffneten Ordnungswidrigkeits- und Gerichtsverfahren wurden allesamt eingestellt.
Beispiel 5: Der Nacktjogger von Freiburg
Der Nacktjogger Dr. Peter Niehenke wurde wegen Verstoßes gegen den § 118 OWiG zu einer Geldbuße verurteilt, das Urteil wurde vom OLG Karlsruhe bestätigt. Niehenke war innerhalb der Stadt nackt gejoggt und hatte einen (fast?) nackten Ausflug in die Freiburger Einkaufsmeile gemacht. Seine Aktivitäten fanden also innerhalb einer geschlossenen Ortschaft statt.
Die Rechtspraxis zeigt also, dass nackte Aktivitäten wie Wandern in der freien Natur nicht verboten sind.
Bzgl. geschlossener Ortschaften gilt es zusätzlich zu beachten, dass einzelne Orte (Städte oder Gemeinden) in ihrer „Ortssatzung“ ausdrücklich das „Nacktgehen“ als ordnungswidrig deklarieren und eine Ahndung mit Bußgeld androhen (unabhängig vom OWiG).
Warum Nacktwandern keine grob ungehörige Handlung ist
Die Handlung des Nacktwanderers ist das Wandern. Wandern ist sicher nicht ungehörig. Also kann eine Ungehörigkeit nur in dem Umstand begründet sein, dass man nackt wandert. Nackt zu sein ist ein Zustand und keine Handlung, aber Juristen pflegen gelegentlich auch einen Zustand als Handlung zu begreifen. Um weiter zu kommen, begreifen wir jetzt also juristisch den Zustand der Nacktheit als die Handlung, nackt zu sein.
Zur Nacktheit hat etwa die Katholische Kirche in dem aktuellen Fundamentalwerk zur neues Fenster katholischen Sozialethik, “Liebe und Verantwortung” von Karol Wojtyla, bekannter als Papst Johannes Paul II., festgelegt: “Weil Gott ihn geschaffen hat, kann der menschliche Körper nackt und unbedeckt bleiben und bewahrt unberührt seinen Glanz und seine Schönheit.” Wo die Kirche von Glanz und Schönheit spricht, kann die auf christlichen Werten aufbauende, bundesdeutsche Gesellschaft nicht auf grobe Ungehörigkeit erkennen, nicht einmal auf einfache Ungehörigkeit!
Weiter führt die Katholische Kirche zur Nacktheit aus: “Unanständigkeit ist nur gegeben, wenn Nacktheit eine negative Rolle in Hinsicht auf den Wert einer Person spielt.” Naturisten nehmen alle Rücksicht auf Mensch und Natur. Sie respektieren jeden Menschen in seiner persönlichen Individualität und werden den Wert eines Menschen niemals an einer körperlichen Eigenschaft oder daran messen, ob und welche Kleidung er trägt. Die Nacktheit eines Naturisten ist im Sinne christlicher Normen also in keiner Weise abwertend, daher auch nicht unanständig.
Die katholische Kirche stellt also fest, dass naturistische Nacktheit nicht unanständig ist. Der Ausdruck “grob ungehörig” im OWiG ist aus sprachlicher Sicht eine Verschärfung des Begriffs “ungehörig”, dies wiederum eine Verschärfung des Wortes “unanständig”. Demnach kann Nacktheit, da sie (laut katholischer Sozialethik) nicht einmal unanständig ist, erst recht nicht ungehörig oder gar grob ungehörig sein. Folglich kann sie auch keine Ordnungswidrigkeit darstellen.
Warum Nacktwandern keine Gefährdung der Allgemeinheit ist
Da der Begriff “Gefährdung der Allgemeinheit” recht interpretationsfähig ist, sollen hier juristische Beispiele für die Verwendung dieses Begriffs zitiert werden:
Im ⤷ StGB § 68c »Dauer der Führungsaufsicht« heißt es:
… “wenn eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten zu befürchten ist.”
Im Urteil ⤷ BVerwG 2 B 109.13 des Bundesverwaltungsgerichts, das einen mit Gewaltdelikten straffällig gewordenen ehemaligen Polizisten betrifft, heißt es in der Urteilsbegründung unter 2:
“Die weitere Tätigkeit des Klägers als Polizeibeamter führe zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit, weil sie das Ansehen der Polizei beschädige.”
Der Bundesgerichtshof spricht im Urteil Az.: 1 StR 633/53 von der
… “Feststellung der Gefährdung der Allgemeinheit bei der Entziehung der Fahrerlaubnis”
Besonders häufig wird der Begriff einer “Gefährdung der Allgemeinheit” bei Sexualstraftätern als Argument für eine Sicherheitsverwahrung verwendet, besonders wenn die Täter keine Reue zeigen und Therapien ablehnen.
Allen Anwendungen des Begriffs “Gefährdung der Allgemeinheit” in der juristischen Praxis ist gemein, dass damit eine ernste, latente Gefahr für Leib oder Leben von einem oder mehreren Menschen beschrieben wird — von einfacher Nacktheit wie sie bei einer Nacktwanderung oder einer nackten, sportlichen Aktivität stattfindet, geht aber keinerlei (ernste) Gefahr aus.
Warum Nacktwandern keine Belästigung der Allgemeinheit ist
Im rechtslexikon.net findet sich in der Definition einer „Belästigung der Allgemeinheit“ der Satz:
“Der Vorsatz des Täters muss die Ungehörigkeit ebenso wie die Eignung zur Belästigung oder Gefährdung und zur Beeinträchtigung der öff. Ordnung umfassen.”
Im ⤷ juraforum.de findet sich noch die allgemeine Definition der Belästigung:
“Als Belästigung bezeichnet man im weitesten Sinne das nachhaltige Einwirken eines oder mehrerer Subjekte (z. B. einer Person) oder Objekte (einer Sache) auf ein oder mehrere Subjekte (z. B. der Zielperson), wobei es grundsätzlich entscheidend ist, dass es vom Opfer als beeinträchtigend oder schädigend wahrgenommen wird.”
Damit wird klar, was schon rein sprachlich anzumerken ist: Der Begriff der Belästigung (ebenso wie der einer Beleidigung) setzt ein aktives, vorsätzliches Handeln voraus, mit dem auf andere Personen unerwünscht eingewirkt wird. Durch die bloße Möglichkeit des Anblicks eines sich im übrigen völlig unauffällig verhaltenden, nackten Menschen ist ein solches aktives, vorsätzliches Handeln mit dem Ziel einer Belästigung nicht gegeben.
Dabei ist es unerheblich, ob sich irgendein Mensch tatsächlich belästigt fühlt — sein persönliches Empfinden ist keine Grundlage für eine Ordnungswidrigkeit. Trotzdem hat es schon richterliche Entscheidungen gegeben, die bloßes Nacktwandern als Belästigung eingestuft haben, obwohl es ein aktives Handeln nicht gab. Das ist aber ein sehr starkes Argument, um einem Vorwurf zu begegnen!
Hinweis: Die Aussagen auf dieser Seite sind sorgfältig recherchiert, aber nicht fachjuristisch überprüft. Sie haben deshalb informellen Charakter und sind juristisch nicht verbindlich.