Was zunächst Nacktkultur hieß, bekam im Lauf der 1920er Jahre den Namen Freikörperkultur. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das erste Auftreten Nackter (hauptsächlich Badender) im kaiserlichen Deutschland aber noch recht skandalbehaftet. Ein zusammenfassender Artikel über das Entstehen der FKK ist in der Zeitschrift ⤷ Spektrum der Wissenschaft enthalten. Alternativ ist auch eine ⬈ PDF-Fassung des Artikels verfügbar.
Reformpädagogik
In seinem Buch »Nackt« plädiert Richard Ungewitter für gemeinsamen Schulunterricht für Jungen und Mädchen
Im Rahmen der “Reform-Pädagogik”, die Anfang des 20. Jhdts. auf die verkrusteten Schul-Strukturen des wilhelminischen und viktorianischen Zeitalters eine fortschrittliche Antwort geben wollte, wurden einige Schulen gegründet, in denen erstmals eine demokratische Mitbestimmung der Schülerinnen und Schüler eingeführt wurde, und zwar sowohl bzgl. der Lehrinhalte als auch der Regeln des Zusammenlebens in der Schule. Eine Rolle spielte oft die koeducative, nackte Ausübung des Sports und auch naturistische Aktivitäten in der Freizeit.
In der idyllischen Umgebung des Lichtheideheims Glüsingen wird heute noch nackt gewandert
Für Deutschland ist hier im wesentlichen das Lichtschulheim Lüneburger Land in der Lüneburger Heide bei Glüsingen zu nennen, das von Walter Fränzel gegründet und geleitet wurde. Es bestand von 1927 bis 1933 — dann setzten die Nazis dem Projekt ein Ende. Das pädagogische Konzept legte Wert auf freundschaftlichen Kontakt zwischen Lehrern und Schülern, körperliches Training durch viel Sport und Freizeit in der Natur einschließlich FKK.
Im Vergleich zu anderen Schulen (wo nur der Sportunterricht nackt ausgeübt wurde) wurde im LLL der Naturismus besonders ausgeprägt gelebt: Sobald die Temperaturen es zuließen, war man in der Schule und auch der Umgebung gemeinsam nackt. Heute befindet sich auf dem Gelände das Lichtheideheim, eine ⤷ FKK-Ferienanlage mit Campingbetrieb. Im angrenzenden Süsing finden auch heute noch regelmäßig Nacktwanderungen statt.
Das Goethe-Haus der Odenwaldschule 1910
Die Odenwaldschule wurde vom Ehepaar Geheeb 1910 gegründet und 1939 von den Nazis geschlossen. Die Pädagogik stand unter dem Motto “Werde, der du bist” des griechischen Dichters Pindar. Es gab keine Jahrgangs-Klassen sondern Gruppen, in denen jedes Kind seinen Interessen und Begabungen gemäße Förderung und Lernanregungen erhielt. Das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern war offen und partnerschaftlich, man lebte in altersgemischten “Familien” zusammen. Trauriges Ende der Odenwaldschule: Ende der 1990er-Jahre wurde jahrzehntelanger systematischer sexueller Missbrauch durch verschiedene Lehrkräfte und den Schulleiter Gerold Becker an Schülern bekannt. 2015 schloss die Schule endgültig nach Insolvenz.
Hauptgebäude der Summerhill School
In England etablierte sich die Summerhill School, gegründet von A. S. Neill 1921 in Suffolk. Hier bestimmte über alle Einzelheiten des Schullebens ein von Schülern und Lehrern gleichberechtigt besetztes Gremium — die erste echte Schul-Demokratie. Der Unterrichtsbesuch war freiwillig. Die Summerhill School existiert bis heute.
Betrand Russell mit Schulkindern in der Beacon Hill School
Auch in der Beacon Hill School, die der Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell zusammen mit seiner Frau Dora 1927 gründete, wurde der Sportunterricht nackt erteilt. Die libertäre, progressive Schule sollte ein rationales Denken vermitteln und Originalität fördern. Die Kinder müssen nicht am Unterricht teilnehmen, werden nie bestraft und dürfen frei sprechen. Nach der Trennung von Betrand Russell 1932 führte Dora Black die Schule bis 1943 weiter.
FKK im Dritten Reich
1933 begann mit dem Dritten Reich eine Zeit, in der die FKK-Vereine so wie andere Vereine auch der Staatsführung suspekt erschienen, jedenfalls solange sie nicht in die Nazi-Bewegung integriert und »gleichgeschaltet« waren.
Ein improvisiertes Volleyballfeld im FKK-Vereinsgelände 1933
Zur Rettung der FKK-Vereine wurde schon im Mai 1933 ein »Kampfring für völkische Freikörperkultur« gegründet, dem sich innerhalb des ersten Monats 59 Vereine und Bünde anschlossen, weitere folgten. 1934 wurde der Kampfring zum »Bund für Leibeszucht« umbenannt und verlor damit das FKK im Namen.
Insgesamt blieb das Interesse am FKK aber während des Dritten Reichs bestehen, allerdings war das Nacktbaden in der Öffentlichkeit bis 1942 verboten. Aufgehoben wurde es für offiziell deklarierte und für solche Badeplätze, an denen man davon ausgehen konnte, dass niemand zuschaut.
Die Nacktkultur wurde vom Nazi-Regime durchaus für ihre rassistische Zwecke genutzt, insbesondere in Büchern von Hans Surén wie ⤷ »Mensch und Sonne« propagiert. Das Buch ist illustriert mit Bildern von nackten Männern und Frauen, es gibt darin Loblieder auf das männliche Glied, eine Anleitung zu Yoga-ähnlichen Übungen und Tipps zum nackten Skifahren und zum Nacktwandern!