Griechenland

In Grie­chen­land lässt sich die Zeit des Tro­ja­ni­schen Krie­ges etwa um 1200 v. C. datie­ren, über den Homer dann etwa um 800 v. C. sei­ne berühm­ten Dich­tun­gen »Ili­as« und »Odys­see« schrieb. Die Sze­ne des schiff­brü­chi­gen Odys­seus, der 20 Tage lang im Was­ser trieb und alle Klei­der ver­lo­ren hat­te, bevor er sich auf eine Insel ret­ten konn­te, ent­hält die Wor­te:
»Also sprach er und kroch aus dem Dickicht, der edle Odys­seus,
brach mit der star­ken Faust sich aus dem dich­ten Gebü­sche
einen lau­bi­gen Zweig, des Man­nes Blö­ße zu decken.«
Und an das anwe­sen­de Mäd­chen Nau­si­kaa rich­te­te er die Bit­te:
»Zei­ge mich hin zur Stadt und gieb mir ein Stück zur Bede­ckung,
etwa ein Wickel­tuch.« [Homer, Odys­see, 6. Gesang, dt. J.H. Voß]

Odysseus tritt mit einem belaubten Zweig vor seiner Blöße dem Mädchen Nausikaa entgegen und bittet um Hilfe. Bild aus der Prachtausgabe der Ilias von 1882: Kohlezeichnung von Friedrich Preller d.J. (gemeinfrei) (1|8)Odys­seus tritt mit einem belaub­ten Zweig vor sei­ner Blö­ße dem Mäd­chen Nau­si­kaa ent­ge­gen und bit­tet um Hil­fe. (1|8)

Zur Zeit des Tro­ja­ni­schen Kriegs war es also längst unschick­lich, sich nackt Mit­men­schen des ande­ren Geschlechts zu zei­gen, und die­se Ten­denz hat sich in der grie­chi­schen Klas­sik wei­ter ver­stärkt. Die bekann­te Pra­xis, Gym­nas­tik und Sport nackt aus­zu­üben, war auf Män­ner beschränkt (und auf männ­li­che Zuschau­er bei den Wett­kämp­fen).

Zur Zeit des Tro­ja­ni­schen Kriegs war es also längst unschick­lich, sich nackt Mit­men­schen des ande­ren Geschlechts zu zei­gen, und die­se Ten­denz hat sich in der grie­chi­schen Klas­sik wei­ter ver­stärkt. Die bekann­te Pra­xis, Gym­nas­tik und Sport nackt aus­zu­üben, war (ein paar hun­dert Jah­re spä­ter) auf Män­ner beschränkt (und auf männ­li­che Zuschau­er bei den Wett­kämp­fen).

Griechische Ringer, 2. Jh.v.C., Wikimedia Commons (gemeinfrei) (2|8), Quelle: Sammlung WalterGrie­chi­sche Rin­ger, gemein­frei (2|8), Quel­le: Walter’s Art Muse­um

Von dem Dich­ter Aris­to­pha­nes (ca. 440–380 v. C.) ist zu erfah­ren, dass sehr dar­auf geach­tet wur­de, die gemein­sa­me Nackt­heit unter Män­nern beim Sport in sitt­sa­mem Rah­men zu hal­ten: »Auf dem Turn­platz dann, wenn die Kna­ben zu ruhn in den Sand hin­sa­ßen, so muss­ten sie die Bei­ne aus­stre­cken, um scham­haft nichts die drau­ßen erbli­cken zu las­sen. Und stan­den sie auf, so ver­wisch­ten sie gleich im San­de die Spur, zu ver­hin­dern, dass Lie­ben­den der Natur Abbild unrei­ne Begier­den erreg­te. Dann salb­te da auch kein Kna­be sich je über den Nabel her­un­ter. Es umblüh­te dar­um ein gekräu­sel­ter Flaum die Scham wie ein rei­fen­der Pfir­sich.« [Du‍err, Nackt­heit und Scham, S. 17]

Neben der Nackt­heit im Sport war auch der nack­te Unter­leib bei Krie­gern ver­brei­tet, was wahr­schein­lich auf die Dorer zurück­geht und sich ins­be­son­de­re in Spar­ta, aber auch in Korinth, lan­ge gehal­ten hat — teil­wei­se bis in die Tage Alex­an­der des Gro­ßen (ca. 330 v. C.).

»Sosias-Schale«: Achilles verbindet den verwundeten Patroklos. Der in der Sitzstellung nach oben gerutschte Oberkörper-Panzer gibt den Blick auf den nackten Unterleib frei. Wikimedia, Lizenz Creative Commons (5|8)Achil­les ver­bin­det Patro­klos (5|8)

Die Dar­stel­lung ent­hält Sym­bo­li­ken: 1. Das sicht­ba­re Geschlecht des Patro­klos ist ein Hin­weis dar­auf, dass das Schwert Hek­tors ihn in der nach­fol­gen­den Schlacht genau an die­ser Stel­le tref­fen und er durch Hek­tors Schwert ster­ben wird. 2. Der Pfeil neben Patro­klos sym­bo­li­siert die Ankün­di­gung, dass Achil­les von einem durch Apoll gelenk­ten Pfeil in die Fer­se getrof­fen und dar­an ster­ben wird. 3. Die Sicht­bar­keit der Zäh­ne des Patro­klos, die sei­ne Schmer­zen andeu­ten. Und uner­klär­te Merk­wür­dig­kei­ten: Patro­klos, der gera­de aus der Schlacht kommt, ist ohne Helm, und die Schul­ter­klap­pen des Pan­zers sind geöff­net, Achil­leus dage­gen mit Helm und Rüs­tung, obwohl er an der Schlacht gar nicht teil­ge­nom­men hat.

Bronzekrater von Vix - Griechische Soldaten in Rüstung. Wikimedia, Lizenz Creative Commons (6|8)Grie­chi­sche Sol­da­ten in Rüs­tung (6|8)

Bis in die Zeit des klas­si­schen Grie­chen­land war man offen­sicht­lich wenig zim­per­lich, wel­che Kör­per­re­gio­nen denn nun von Klei­dung bedeckt wer­den soll­ten. Für die Sol­da­ten etwa kam es haupt­säch­lich dar­auf an, die­je­ni­gen Kör­per­tei­le mit einer bron­ze­nen Rüs­tung zu schüt­zen, die im Kampf beson­ders gefähr­det waren: Kopf, Ober­kör­per und die Schien­bei­ne. Der Unter­leib blieb — wie auf dem ⬈ Bron­ze­kra­ter von ⬈ Vix dar­ge­stellt — oft­mals unge­schützt und nackt — mit dem Vor­teil, sich mög­lichst unge­hin­dert bewe­gen zu kön­nen und dar­aus viel­leicht die ent­schei­den­de Über­le­gen­heit gegen­über einem Geg­ner zu gewin­nen.

»Nach­klän­ge der vor­her­ge­hen­den Peri­ode und den Über­gang zum eigent­li­chen Grie­chen­tum zeigt uns Homer. Beim Man­ne lebt noch von der myke­nisch-ori­en­ta­li­schen Kul­tur die Tracht, Schurz und Man­tel, das Scham­ge­fühl und die Sit­te der Ent­klei­dung gefal­le­ner Fein­de nach. Die Frau hin­ge­gen ver­hüllt jetzt durch­ge­hends den Busen.«

»Die geo­me­tri­sche Kunst ihrer­seits wirkt zur Zeit des grie­chi­schen Archais­mus dort nach, wo sie haupt­säch­lich geherrscht hat: Im Mut­ter­land. Hier ist die unbe­klei­de­te Gestalt, die zur Ver­kör­pe­rung von Jüng­lin­gen und Män­nern, Sterb­li­chen und Göt­tern dient, der vor­herr­schen­de Typus gewor­den. Sie wird bald zum Ide­al­bild des Men­schen erho­ben…«

»Die­ses gesam­te Bild ändert sich umso mehr, je wei­ter wir vom Fest­land nach Osten schrei­ten… Im grie­chi­schen Osten lebt … die ori­en­ta­lisch-myke­ni­sche Scheu vor Ent­blö­ßung fort.«

Zita­te aus W.A. Mey­er, Nackt­heit und Ent­blö­ßung, Teub­ner 1906

Die Aus­wer­tung der Quel­len zeigt also, dass die Peri­ode der Mensch­heit, in der all­täg­li­che Nackt­heit prak­ti­ziert wur­de, in den Völ­kern, über die eine his­to­ri­sche Doku­men­ta­ti­on exis­tiert, mit der Epo­che des Alten Reichs Ägyp­tens zu Ende ging. Alle spä­te­ren For­men gemein­schaft­li­cher Nackt­heit betra­fen nur noch Grup­pen (Sport­ler, Baden­de, Krie­ger,…) oder beson­de­re Gele­gen­hei­ten (Fes­te, Pro­zes­sio­nen,…) inner­halb der Gesell­schaf­ten, das gilt für Grie­chen­land, das Römer­reich, das Mit­tel­al­ter und die Neu­zeit. Aus­nah­men sind gesi­chert für indi­ge­ne Völ­ker (Ame­ri­ka, Afri­ka, Süd­see u.a.m.), wäh­rend wir über vie­le ande­re Kul­tu­ren (Indi­en, Chi­na, Azte­ken, Inka,…) nur Bruch­stü­cke aus der Geschich­te ken­nen.