Die Neuzeit — markiert durch die Entdeckung Amerikas und die damit beginnende Erforschung des gesamten Planeten Erde — setzte zunächst viele Traditionen des Mittelalters fort, z. B. die Hexenverfolgung, die Folter oder auch die Nacktheit als Strafe bzw. Strafverschärfung. Die Tradition der Badehäuser hingegen verschwand.
Zu Beginn der Neuzeit treten drei neue Sitten und Gebräuche auf, die es bisher noch nicht gegeben hatte:
1. War es im 15. Jahrhundert noch völlig gängig und akzeptiert, wenn Frauen ihre Brüste entblößten, so entwickelte sich jetzt eine Haltung, die dies zunehmend als verwerflich einordnete, und trotz häufiger Versuche zahlreicher Frauen, an den alten Sitten festzuhalten, gab es 1636 durch Pabst Urban VIII. sogar ein kirchliches Verbot, die Brüste zu entblößen.
Die Bußfertige Maria Magdalena, Dirck Bleker (1|8)
2. Es wurde die Unterhose für Frauen erfunden. Damit konnte die leidenschaftliche Jägerin und Königin Katharina von Medici genauso wie die Männer bei der Jagd rittlings auf dem Pferd reiten und war nicht mehr auf den seitlichen Damensitz angewiesen, der die Beweglichkeit zu Pferde doch ziemlich einschränkte. Als Nebeneffekt wurde auch ausgenutzt, dass bei einem Sturz (nicht nur vom Pferd sondern auch beim sonstigen Stolpern) die Unterhose den Blick auf den bis dato nackten Unterleib verhinderte.
Katharina von Medici mit ihren Kindern, Francois Clouet (4|8)
3. Für Männer kam die (mit ein paar Jahrzehnten recht kurzlebige) Mode auf, an den Hosen eine Schamkapsel aufzunähen, mit der wohl ursprünglich vermieden werden sollte, dass ein allzu deutlicher Abdruck des Gliedes durch den Hosenstoff sichtbar würde, die aber alsbald zu einer solch übertriebenen Größe anwuchs, dass die Kapsel weit größeren Gemächten hätte Platz bieten können, als sie im Leben real vorkamen.
Dem jungen Kronprinzen Ludwig (später Ludwig XIII.) verursachte der Gedanke an eine Schamkapsel im Alter von 5 Jahren solche Albträume, dass er dem Schneider auftrug, an seiner ersten Hose keinenfalls eine solche anzubringen (alle kleineren Kinder, egal ob Junge oder Mädchen, trugen damals Kleider. so dass er seine erste Hose erst mit 5 bekommen sollte).
Diese Ereignisse stehen am Anfang einer Entwicklung, die zur Prüdisierung der Gesellschaften führte, die im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt fand. Die Kunst musste sich schon sehr bald diesen Tendenzen fügen, das merkte bereits Michelangelo nach Fertigstellung des Jüngsten Gerichts als Abschluss-Werk in der Sixtinischen Kapelle.
Michelangelo, Das Jüngste Gericht, Sixtinische Kapelle (6|8)
Als die Öffentlichkeit 1541 das vollendete Werk besichtigen darf, kommt es zu einem allgemeinen Protest gegen die Unschicklichkeit der Fresken. Bei der kontroversen Diskussion macht sich Pietro Aretino 1545 zum Sprecher des Unmuts im Volk: „Ich bin ich emport über die Sittenlosigkeit, die der Spiritualitat so widerspricht und derer Ihr Euch bedient, um die Vorstellungen wiederzugeben, nach denen unser wahrer Glaube letztlich trachtet. [..] Das ist ein Gemälde fiir ein Bad. nicht fur die größte Kirche der Christenheit.“ Die Fresken des Michelangelo werden zum Symbol des Kampfs um die wiederentdeckte Tugend. Als Gilio da Fabriano 1564 seinen Dialog über die Irrtümer der Maler veröffentlicht, verurteilt er das Jüngste Gericht mit besonderer Heftigkeit. Seine Argumentation erlaubt, einen klaren Trennungsstrich zu ziehen zwischen volkstümlichem Schamgefuhl, zu dessen Sprachrohr Aretino sich machte, und dem Schamgefuhl der Kirche, wie es im Konzil von Trient formuliert wurde.
Ein Grund, warum Michelangelos Werk so viel Kritik auf sich zog, war das neue Engagement in der Kirche, sich gegen die Reformation und die Gegenreformation zur Wehr setzen zu müssen, denn für diese Zielrichtung war traditionelles, konservatives Gedankengut wieder aktuell und verbreitet.
Sitzung des Konzils von Trient in „Tyrolischer Adler“, Bd.IX von Matthias Burglechner ( Österreichisches Staatsarchiv Wien) (7|8)
Im Jahr 1541, als Michelangelo die Gerüste abbauen lässt, scheitern die Religionsgespräche auf dem Reichstag in Regensburg endgültig, 1542 wird die Inquisition wieder eingeführt, 1545 findet die erste Versammlung des Konzils von Trient statt, und 1546 bestätigt der Papst den Jesuitenorden. Innerhalb von fünf Jahren sind alle Voraussetzungen für den Kampf gegen die Reformation geschaffen, die in der Zeit der Frührenaissance noch geduldet wurde.
Auf dem Konzil von Trient wird beschlossen, in Zukunft allen Aberglauben bei der Anrufung von Heiligen, der Verehrung von Reliquien und der sakralen Verwendung von Abbildern zu verbieten. Alles, was als unsittlich beurteilt werde, müsse beseitigt, was unanständig sei, vermieden werden, damit ein Bild durch Malweise und Schmuck nichts Aufreizendes an sich habe. Eine ziemlich allgemein gehaltene Formulierung, die den Theologen aber alle Freiheit lässt, das zu zensieren, was sie als »unsittlich«, »unanständig« und »aufreizend« empfinden.
Einstweilen triumphiert das Schamgefühl. Die Papstwürde liegt nicht mehr in den Händen der mächtigen Familien, die zu Beginn des Jahrhunderts prunkvoll Hof hielten. Papst ist jetzt Paul IV., von dem die neue Inquisition ausgeht, dann ⬈ Pius V., ein ehemaliger Großinquisitor. An allzu gewagten Kunstwerken kann man sich die Finger verbrennen. Sie werden verschenkt, verstümmelt, vernichtet. Pius V. setzt ein Zeichen und verschenkt die Antikensammlung des Vatikans an das römische Volk, an Kardinäle und Fürsten. Jakob Boonen, Bischof von Gent und später Erzbischof von Mechelen, lässt Bilder verbrennen und Skulpturen zerstören, die er als obszön empfindet.
Die Nacktheit ist dennoch im 16. Jahrhundert nur ein Stein des Anstoßes von vielen. Man sucht häufig Gottlosigkeit und Anstößigkeit in Details, die uns lächerlich erscheinen. So musste Caravaggio ein Bild des heiligen Matthäus neu malen, weil er seine Füße zu indiskret zur Schau stellte. Die Altertümer, deren Papst Pius V. sich entledigt, hatten den Fehler, nicht nur heidnisch, sondern auch noch nackt zu sein.
Bartolomeo Passarotti: Papst Pius V. (8|8)
Als zweite Konsequenz folgte nun die Trennung zwischen einer Kunst für das große Publikum und der erotischen Kunst für einen kleinen Kreis. Die Stellungen beim Liebesakt, die Aretin beschrieb und Giulio Romano illustrierte, kursierten nur im Verborgenen, und Brantöme schildert bei Gelegenheit Szenen, in denen sich hohe Herrschaften über einen etwas gewagten Kupferstich beugen und Kommentare dazu abgeben.
Zwischen dem einsamen Vergnügen des erotischen Buches und der öffentlichen Kunst des Mittelalters handelt es sich noch um eine begrenzte Öffentlichkeit, ein Freundeskreis, für den die beginnende Pornografie vor allem Anlass zu Herrenwitzen gibt.
Die dritte Folge aus der in der Renaissance wiederentdeckten Nacktheit der Antike ist die weibliche Schamhaftigkeit, die in dieser Epoche zum Dogma erhoben wird. Während in der höfischen Kultur des 15. Jahrhunderts vor allem weibliche Blöße bevorzugt wird, begeistert man sich in der Renaissance für den männlichen Akt.
Zitate (grün) aus „Nacktheit und Prüderie“ von Jean-Claude Bologne
Im 16. und 17. Jahrhundert vergrößerte sich der Spagat zwischen verordneten, moralischen Augenbinden und den nackten Tatsachen des Lebens weiter — je strenger die Vorschriften und die Ahndungen von Verstößen wurden, desto intensiver wurden die heimlichen Abenteuer, abseits der Vorschriften verbotene Geheimnisse zu erkunden!
Wie Pius V. sich für den Papst-Job qualifizierte
Dem Historiker Leopold von Ranke zufolge verfolgte Pius V. mit „hemmungsloser Wut“ die Protestanten. Nachdem die Waldenser sich zur protestantischen Reform bekannt hatten und deswegen in ihrer Heimat, den piemontesischen Waldensertälern, verfolgt wurden, siedelten sie sich in dem kalabrischen Ort Guardia Lombarda an, heute Guardia Piemontese. Als Bischof der piemontesischen Stadt Mondovì veranlasste der spätere Pius V., dass alle Waldenser, jene im Piemont sowie auch jene in Kalabrien, auszurotten seien. Er entfesselte einen Kreuzzug gegen die Abtrünnigen, dem am 5. Juni 1561 der Großteil der Bevölkerung von Guardia Piemontese zum Opfer fiel. Etwa zweitausend Menschen wurden an diesem und den folgenden Tagen des Pogroms abgeschlachtet, Frauen und Kinder eingeschlossen.
(Quelle: de.wikipedia.org)